„Extreme Entwicklung durch Olympia“

Carina Vogt hat allen Grund zur Freude – Frauen-Skispringen ist 2014 in Sotschi erstmals olympisch.
Carina Vogt hat allen Grund zur Freude – Frauen-Skispringen ist 2014 in Sotschi erstmals olympisch.

Jahrelang war Skispringen reine Männersache. Nicht so für Carina Vogt. Bereits mit sechs Jahren hüpfte die Athletin aus Waldstetten bei Schwäbisch Gmünd über die Schanze in Degenfeld. Mittlerweile ist Vogt 21 Jahre alt, die Schanzen sind größer geworden, ebenso die Ziele. In diesem Winter ist sie beste deutsche Springerin. Und im kommenden Jahr will sie bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi angreifen. Es ist die olympische Premiere fürs Skispringen der Frauen. Im Interview mit der SportSirene hat sich Carina Vogt zum langen Weg des Frauen-Skispringens ins olympische Programm und zu dessen Bedeutung für die Sportart geäußert.

Carina, was haben Sportarten wie Gewichtheben, Boxen und Stabhochsprung mit dem Skispringen gemeinsam?

Sie sind im Frauenbereich nicht so bekannt wie beispielsweise der Frauenfußball. Und es hat lange gedauert, bis Frauen in diesen Sportarten akzeptiert wurden.

Kannst Du Dir vorstellen, warum es beim Internationalen Olympischen Komitee so lange gedauert hat, bis Skispringen der Frauen olympisch wurde?

Schwer zu sagen. Vielleicht dachte man im IOC, dass Skispringen für Frauen nicht die richtige Sportart ist. Wir haben lange dafür gekämpft und uns stetig verbessert. Inzwischen hört man selbst aus dem IOC, dass Frauen-Skispringen sehr professionell betrieben wird.

Warum sollte Skispringen eine Männersportart bleiben?

Da gibt es nichts, was dafür sprechen würde.

Sind die Sprungleistungen vergleichbar mit denen der Männer?

Es kommt unabhängig vom Geschlecht auf die Größe und das Gewicht an. Wenn wir auf den gleichen Schanzen wie die Männer springen, dann landen wir bei sehr ähnlichen Weiten. Weil unsere Kraftwerte nicht ganz so hoch sind wie die der Männer, haben wir einen verlängerten Anlauf.

Überschreitest Du beim Skispringen eigene Grenzen im psychischen Bereich?

Nein. Klar geht man beim Skispringen an seine individuellen Grenzen. Nach einem Sturz kann man an  psychische Grenzen stoßen. Da fehlt schnell mal das Vertrauen. Wieder voll und ganz selbstbewusst rauszuspringen, ist natürlich schwer. Wenn es geht, versucht jeder Skispringer, sofort wieder auf die Schanze zu gehen, um so den Sturz zu verarbeiten. Und damit sich keine Barriere aufbaut.

Und in körperlicher Hinsicht?

Immer darauf zu achten, das optimale Gewicht zu haben ist eine echte Herausforderung.

2014 ist das Frauen-Skispringen in Sotschi zum ersten Mal olympisch. Für Vancouver 2010 hatte das IOC den Antrag noch abgelehnt. Wie hast Du diese Entscheidung erlebt und verfolgt?

Speziell die älteren Springerinnen haben sich sehr dafür eingesetzt und sind auch juristisch aktiv geworden. 2010 war ich in einer sehr guten Form. Da hätte ich mir schon gewünscht, dass es zumindest einen vorolympischen Wettkampf in Vancouver gibt, doch das wurde ebenfalls abgelehnt. Das war schon ein Rückschlag. Bevor Frauen-Skispringen olympisch wurde, wäre es nicht möglich gewesen, Bundespolizei- oder Bundeswehrstellen zur Förderung zu bekommen. Für die meisten von uns wäre es nach der Schule oder dem Abitur vorbei gewesen, weil man sich das sonst gar nicht mehr hätte ermöglichen können. Daher stellt Olympia auch diesbezüglich eine große Möglichkeit für uns dar.

Wie wurde die Nichtberücksichtigung in Vancouver 2010 Euch Skispringerinnen gegenüber begründet?

Mit der fehlenden Leistungsdichte. Es gebe zu wenige, die auf einem hohen Niveau springen. Das Frauen-Skispringen brauche noch Zeit, um sich zu entwickeln.

Eine Begründung, die im Nachhinein tendenziell eher falsch war, wenn man die aktuelle Entwicklung betrachtet? Frauen-Skispringen gewinnt laufend an Popularität.

Ich denke, die Entwicklung ist mitunter so extrem gewesen, gerade weil die Disziplin olympisch geworden ist. Jeder hat sich noch ein bisschen mehr reingehängt. Viele Nationen haben in Strukturen investiert – schließlich gibt es Medaillen zu gewinnen. Vor der Olympia-Berücksichtigung gab es fast nur in Deutschland und Norwegen richtig gute Unterstützung. Jetzt werden alle besser gefördert.

Sind die Skisprung-Nationen durch den Kampf für eine Olympia-Berücksichtigung enger zusammengerückt?

Der Konkurrenzkampf ist größer geworden. Früher gab es einige starke Nationen, inzwischen können Athletinnen aus vielen Ländern vorne mithalten. Gerade vom letzten auf dieses Jahr sieht man das ganz deutlich. Zwei, drei sind vorneweg gesprungen. Jetzt ist die Spitze breiter geworden.

Was sagen die Männer?

Wie ich mitbekommen habe, denken die Männer, dass es für das Gesamtbild der Sportart Skispringen wichtig war, um eben auf ein anderes Level zu kommen. Für die Springer selbst hat es nicht die große Rolle gespielt.

Was hat sich für Dich durch die IOC-Entscheidung verändert?

Wäre diese Entscheidung so nicht getroffen worden, wäre ich wahrscheinlich nicht zur Bundespolizei gekommen und hätte ein Studium angefangen, wie viele andere auch. So habe ich jedoch ein Leben, das nur wenige Sportler führen können und bin sehr glücklich, dass ich diese Möglichkeit habe. Ich kann alles investieren, damit ich zu Olympia fahren darf. Das ist das Größte für jeden Sportler, wenn er diesen Schritt machen kann.

Wie hat sich der mediale Auftritt des Frauen-Skispringens geändert? Wurdest Du mehr in den Fokus der Medien gerückt?

Komplett. Als es nur den Continentalcup gab, hatten wir nie eine Fernsehübertragung. Seitdem der Weltcup neu hinzugekommen ist, interessieren sich auch Sender wie die ARD und das ZDF  für uns. In Lillehammer und Val di Fiemme waren wir zusammen mit den Männern unterwegs. Da war das mediale Interesse im Vergleich zu Frauen-Einzelwettkämpfen noch viel größer.

Ist das eine Möglichkeit, die Bekanntheit der Männer zu nutzen, um das Frauen-Skispringen bekannter zu machen?

Auf jeden Fall. Für uns ist der Mixed-Wettkampf sehr wichtig. Wir haben bisher nur positive Rückmeldungen bekommen. Die Wettkampfform kommt beim Publikum gut an. Wir selber rücken so stärker in den Fokus. Severin Freud und Richard Freitag kennt jeder. Wenn wir mit ihnen im Team starten, hilft uns das weiter.

Verspürst Du Druck, die Berücksichtigung für Olympia rechtfertigen zu müssen?

Druck würde ich es nicht nennen, es ist vielmehr eine Chance. Deutschland hat in dieser Saison bisher keinen Podestplatz erreicht. Da kommen inzwischen schon öfter die Fragen, warum es bei uns nicht so laufe und woran das liege. Die Medien wünschen sich Podestplätze von uns. Ich springe in diesem Winter meine beste Weltcup-Saison. Doch der Vergleich wird zum letzten Jahr gezogen, wo wir ein paar Treppchenplätze geholt haben.

Wenn man die Weltcup-Kalender von Frauen und Männern vergleicht, sind die Skispringerinnen deutlich weniger unterwegs als die männliche Konkurrenz. Würdest Du Dich über mehr Wettkämpfe freuen?

Die Männer sind so gut wie jedes Wochenende unterwegs, haben deutlich mehr Highlights in jeder Saison, wie etwa die Vierschanzentournee oder die Team-Tour. Bei uns sind manchmal zwei Wochen Pause bis zum nächsten Weltcup. Mit mehr Wettkämpfen kommt man in eine gewisse Routine rein, dann läuft es einfach. Wir Frauen haben einen Wettkampf und fahren danach nach Hause, trainieren und wissen dann nicht, wo wir im internationalen Vergleich stehen. Daher schieben wir immer wieder Lehrgänge dazwischen. Durch regelmäßige Wettkämpfe kommt man aber besser in einen Rhythmus.

Welche nächsten Schritte sollten vom internationalen Skiverband und von allen Beteiligten folgen, um das Frauen-Skispringen in der Welt noch bekannter zu machen?

Der Verband tut sein Möglichstes. Wir werden sehr gut unterstützt, auch finanziell. Da sind wir auf einem ähnlichen Niveau wie die Männer. Was uns helfen würde, wären Fernsehübertragungen von allen Weltcup-Springen, das machen bei den Männern in Deutschland die ARD und das ZDF.

Deine männlichen Kollegen feiern regelmäßig bei der Vierschanzentournee ins neue Jahr hinein. Könntest Du Dir etwa Ähnliches vorstellen?

Wenn es das gäbe, sehr gerne. Das wäre ein Traum. Aber ich fürchte, das dauert noch eine Weile.

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