Colin Kaepernick und der Pick Six

Der American Footballer von den San Francisco 49ers verurteilte öffentlich Polizeigewalt gegen Schwarze in den Vereinigten Staaten, ging dann aber nicht zur Wahl. Wie Meinungsstärke zu Meinungsschwäche wurde.

Ein Pick Six ist so ziemlich das schlimmste, was einem Quarterback beim American Football widerfahren kann. Dabei wirft der Spielmacher einen Pass, der aber nicht bei seinem Mitspieler ankommt, sondern in den Händen des Gegners landet – Interception, der Ballbesitz wechselt. Doch damit nicht genug, denn der Gegner schafft es dann noch, den Ball direkt in die Endzone zu tragen und zu punkten. So wird aus einem Angriff der direkte Gegenangriff mit gutem Ende für die Verteidigung. Diese ergattert sechs Punkte. Pick Six. Eine Interception plus sechs Punkte für den anschließenden Touchdown. Das Pendant zum Eigentor im Fußball.

Im September 2015 schaffte es Colin Kaepernick, Quarterback der San Francisco 49ers in der NFL, in einem Spiel gegen die Arizona Cardinals, innerhalb kürzester Zeit zwei Pick Sixes zu werfen. Wenn man es nicht besser wüsste könnte man meinen, Kaepernick habe zweimal zum identischen Wurf angesetzt, der mit dem gleichen Resultat endete. Zwei Szenen fürs Lehrbuch, die den Spielmacher kurze Zeit später seinen Stammplatz kosteten und ihm in den Sozialen Medien den Ruf als Meister des Pick Six einbrachten.

2016. Colin Kaepernick begann die neue Saison im September unverändert als Ersatz-Quarterback. Doch auch ohne Einsatzzeit auf dem Spielfeld war er in den Schlagzeilen. Während der Vorbereitungsspiele hatte er begonnen, beim Erklingen der Nationalhymne aus Protest nicht aufzustehen. „Ich will mich nicht mit einem Land identifizieren, in dem Schwarze Polizeigewalt fürchten müssen und in dem Rassismus oft noch zum Alltag gehört“, erklärte er und wurde damit zur Führungsfigur einer kulturellen Bewegung, der sich weitere US-Athleten anschlossen. In einem Kommentar für die German Sea Hawkers e.V. – wohlgemerkt der Fanklub des Erzrivalen von Kaepernicks Team – befürwortete ich damals die Initiative des Spielers. Er mache von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch und nutze seine Position als Person der Öffentlichkeit, um die Aufmerksamkeit auf einen krassen Missstand zu lenken. Seine Kritiker lägen falsch.

Anfang Oktober wurde Kaepernick wieder zum Stammspieler befördert, weil sein Konkurrent Blaine Gabbert die Erwartungen nicht erfüllte. Das lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf den Sport. Er durfte seine Mitspieler wieder Sonntag für Sonntag mit Bällen versorgen und mit seinen drahtigen Beinen Raumgewinn erlaufen.

Dann aber wurde er von der Vergangenheit eingeholt. Er warf erneut einen Pick Six – diesmal aber nicht auf dem Spielfeld. Auf die Präsidentschaftswahl in den USA angesprochen, erzählte er, er sei am 8. November nicht zur Wahl gegangen. Der Grund: Kaepernick lehnte beide Kandidaten ab. Bereits im September hatte er gesagt, beide seien nachweislich Lügner und es scheine, als ob sie nur darüber debattierten, wer weniger rassistisch sei.

Diese Meinung kann man vertreten. Auch wenn der Sportler damit teils richtig liegt, hat er mit seinem (Nicht-)Handeln ein Eigentor geschossen. Einen Pick Six geworfen.

Wer so vehement für die Rechte von Schwarzen eintritt, so öffentlichkeitswirksam seine Position vertritt, so überlegt Aussagen macht, wer Vorreiter einer Bewegung wird, der muss sein Wahlrecht wahrnehmen. Abneigung gegen Hillary Clinton und Donald Trump hin oder her – es gibt Kandidaten von dritten Parteien. Er hätte sogar einen eigenen Vorschlag auf dem Wahlzettel hinterlassen können (Write-In Option). Donald Duck oder Chip Kelly, den Namen seines Cheftrainers.

Welche Botschaft sendet jemand, der sich zunächst selbst als Vorbild positioniert, indem er nicht zur Wahl geht? Wie viel Vorbild bleibt dann übrig? Kaepernick hat als Sportler und Afroamerikaner die große Chance vertan, viele junge Menschen, viele Schwarze zum Wählen zu mobilisieren. Statistiken zeigten, dass die Zahl der Wähler unter den African Americans im Vergleich zu 2012 signifikant zurückgegangen ist.

Man darf bei aller Kritik nicht vergessen: Colin Kaepernick hat mit seinem Protest viel erreicht. Eine nationale Diskussion kam in Gang, Athleten aus verschiedenen Bundesstaaten trafen sich mit Polizisten und Politikern, um Lösungen zu finden. Doch eine Präsidentschaftswahl hat weit größere Auswirkungen. Mit der Entscheidung, kein Kreuz zu setzen, hat Kaepernick seine eigene Bewegung unterwandert.

Bürgerrechtler wie Martin Luther King kämpften ihr Leben lang dafür, dass sozial Benachteiligte Zugang zur Wahlurne haben. Prominente Black Lives Matter-Aktivisten bekannten sich im Vorfeld der Wahl zu Hillary Clinton. Und im übrigen war es Donald Trump, der Kaepernick die Ausreise nahelegte, wenn es ihm in den USA nicht gefalle.

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